Eigentlich wollten die Töchter und ich nach Cornwall oder nach Schottland. Nie fanden wir Zeit für eine gemeinsame Woche zu dritt. Ein verlängertes Wochenende sollte es dann aber zumindest sein. Und irgendwann fiel die Entscheidung für eine Pilgerwanderung auf dem Münchner Jakobsweg – zweieinhalb Tage von Oberstaufen im Allgäu bis nach Lindau am Bodensee.
Der Pilgerweg zum Grab des heiligen Jakobus im spanischen Santiago de Compostela ist längst kein Geheimtipp mehr. Viel weniger bekannt und ziemlich menschenleer sind die meisten „Zubringerwege“ in ganz Europa, von denen viele inzwischen für Wanderer kartiert sind. Wo es keine historisch belegten Wege gab, ließ man den Pilgerpfad bestehenden Wanderwegen folgen, die aufgrund zahlreicher Jakobusplätze plausibel erschienen. Der sogenannte Münchner Jakobsweg, 2003 eröffnet, beginnt in München am Jakobsplatz und führt in zehn Etappen nach Lindau – gekennzeichnet mit der gelben Muschel auf blauem Grund.
Planung unserer Pilgerwanderung auf dem Münchner Jakobsweg
Wie viele Kilometer laufen Pilger eigentlich am Tag? Eine Frage, die wir uns stellten, als wir unser Wochenende auf dem Jakobsweg planten. „35 auf jeden Fall“, meint die Jüngste. Die Große und ich können sie auf 25 Kilometer „herunterhandeln“. Schließlich wollen wir weder sportliche Höchstleistungen vollbringen noch Sünden büßen, sondern einfach ein paar Tage miteinander verbringen und den Alltag hinter uns lassen. Und es soll Zeit zum Einkehren, Anschauen, Baden bleiben.
Für uns drei ist es die erste Fernwanderung mit Gepäck auf dem Rücken. Also haben wir Sharing praktiziert (Zahnpasta, Deo, Sonnencreme) und Prioritäten gesetzt, denn jedes Gramm zuviel lastet nach ein paar Stunden schwer auf den Schultern. Unsere Route auf dem Münchner Jakobsweg sah schließlich so aus.
3 Tage auf dem Münchner Jakobsweg – Etappen
- Tag Anreise mit der Bahn von München nach Oberstaufen. Wanderung von Oberstaufen über Genhofen nach Stiefenhofen (8,1 Kilometer) Track
- Tag Wanderung von Stiefenhofen über Weiler-Simmerberg nach Lindenberg (15 Kilometer, 340 Höhenmeter) Track
- Tag Wanderung von Lindenberg über Sigmarszell nach Lindau (24 Kilometer, 190 Höhenmeter) Track
- Tag Ein Tag in Lindau und Rückreise nach München
Tatsächlich haben wir mehr Kilometer zurückgelegt, weil wir uns auch mal verirrten, von der Unterkunft abends noch zum See liefen, in Lindau allein viele Kilometer zurücklegten. Am dritten Tag kamen tatsächlich über 30 Kilometer zusammen.
Tag 1: Auf dem Münchner Jakobsweg von Oberstaufen nach Stiefenhofen
Der Weg vom Bahnhof in Oberstaufen über Genhofen nach Stiefenhofen im Westallgäu war perfekt zum Einlaufen. Und ein erster Höhepunkt wartete auch unterwegs.
Der heilige Jakobus, der Mann mit der Pilgermuschel und Patron des Jakobswegs, grüßt vom Altar der gotischen Kapelle Sankt Stephan in Genhofen. Als wollte er uns seinen Segen für unsere Pilgerwanderung vom Allgäu an den Bodensee geben. Das Kirchlein habe ich schon vor 25 Jahren ins Herz geschlossen, als ich zu ersten Mal für meinen Allgäu-Reiseführer hier recherchierte. Wie immer hole ich den Schlüssel beim Schmied, dem Hüter des Kapellschlüssels, in der Nachbarschaft ab. Und doch war es diesmal anders und besonders, denn wir sind nicht mit dem Auto vorgefahren, sondern zu Fuß unterwegs.
Andächtig betrachten wir die rätselhaften Wandmalereien und farbenfrohen Schnitzaltäre im kleinen Kirchlein und beamen uns ein paar Jahrhunderte zurück. Hier standen im Mittelalter schon Pilger auf dem Weg ins ferne Galicien und baten den Heiligen um seinen Schutz. Eine Pilgerreise war damals ein Abenteuer, von dem viele nicht zurückkehrten, während wir längst die Rückfahrt gebucht haben. Ein bisschen aufgeregt sind wir trotzdem, als wir den ersten Pilgerstempel ins Notizbuch drücken.
Auf einem ruhigen Wanderpfad quer durch grüne Wiesen laufen wir weiter zu unserem Quartier nach Stiefenhofen. Seit 2002 darf der Ort sich mit dem Titel Kräuterdorf schmücken, denn Kräuter spielen hier schon lange eine Hauptrolle. Es gab damals bereits einen Kräutergarten mit Teestube sowie ein paar Kräuterhöfe, als Axel Kulmus vom Traditionsgasthof Rössle sich zum Kräuterwirt erklärte. Am Anfang stand der Wunsch nach einem Alleinstellungsmerkmal, denn schließlich gab es genügend Wirte in der Umgebung. Doch bald war Kulmus Feuer und Flamme für die Kräuterküche und experimentiert seither mit neuen Aromen aus dem eigenen Garten. Für uns gibt es abends Schwammerl in Kräuterrahm. Die perfekte Stärkung für den ersten langen Wandertag.
Der Jakobsweg
Jakobus der Ältere, Jünger Jesu und einer der zwölf Apostel, missionierte in Spanien. Zurück in Jerusalem wurde er 44 nach Christus enthauptet. Sein Leichnam aber fand auf wundersame Art und Weise den Weg zurück an die spanische Nordwestküste, erzählt die Legende. Seine Grabstätte dort wurde im 9. Jahrhundert wiederentdeckt und Pilger aus ganz Europa machten sich auf den Weg ins ferne Galicien, um Erlösung von Sünden zu erlangen, ein Gelübde einzulösen, Heilung von Gebrechen zu erbitten oder Unfreiheit und Enge ihres Lebens zu entfliehen. 1987 erklärte der Europarat den spanischen Abschnitt des Jakobus-Pilgerweges, den „Camino de Santiago“, zum ersten europäischen Kulturweg, der schnell zum touristischen Schwergewicht wurde.
Tag 2: Auf dem Münchner Jakobsweg von Stiefenhofen nach Lindenberg
Bevor wir uns am nächsten Tag auf den Weg machen, besorgten wir noch eine echte Allgäuer Brotzeit. Durch das Kräuterdorf führt nämlich auch die Allgäuer Käsestraße mit mehreren kleinen Käsereien am Wegesrand. Der Allgäuer Bergkäse aus der Heumilch-Sennerei im Stiefenhofener Ortsteil Rutzhofen war eine tolle Stärkung unterwegs.
Vom Ortszentrum geht es dann auf einem verkehrsberuhigten Weg durchs sanft hügelige Westallgäu, vorbei an geschindelten Häusern, in Richtung Hopfen. Die Kühe auf den Weiden bimmeln einen Guten-Morgen-Gruß und am Horizont türmen sich die Allgäuer Alpen auf. Wem da nicht das Herz aufgeht! Kurz bevor wir auf den Weg nach Simmerberg einbiegen, lugt plötzlich wie eine Fata Morgana die Schneekuppe des Schweizer Säntis hinter grünen Hügeln hervor. Wir bleiben ein paar Momente stehen und staunen. Dann ist der Jakobsweg auch bereits ausgeschildert.
Vor Simmerberg stoßen wir auf die Alte Salzstraße, die im Mittelalter von Tirol nach Bregenz führte – einst die wichtigste Handelsstraße im Allgäu. Das „weiße Gold“ machte Simmerberg, das als Hauptstapelplatz für Salz in alten Chroniken erwähnt wird, wohlhabend. An das Goldene Zeitalter erinnert noch die Salzfaktorei, ein stattliches Bauwerk mit spitzem Giebel und Fachwerk. In einem einzigen Jahr wurden hier 15 850 Fässer – fast 4000 Tonnen Salz! – verladen. Auch die Wirtschaft „Zum Adler“, 1660 erstmals erwähnt, war damals sicher eine Goldgrube. Seit 30 Jahren ist sie als Bräustatt/Taferne wieder ein Schmuckstück – ein wiederbelebter Traditionsgasthof, wo wir uns eine Pause im Biergarten gönnen.
Einkehr am Wegesrand
Bräustatt und Taferne, Ellhofer Straße 2, 88171 Simmerberg, Tel. 08387 3806. Süffige Biere und deftige Speisen.
Pilgerwege sind nicht immer romantische Wanderwege, lernen wir in den nächsten Stunden. Bis Weiler geht es immer an der Alten Salzstraße, die auch Hauptverkehrsstraße ist, entlang. Ein Pferdegespann aus Metall kurbelt unterwegs die Fantasie an: Fast meinen wir Pferdehufe und das Ächzen der Fuhrwerke zu hören, die mit kostbarer Fracht unterwegs waren.
In Weiler, Teil zwei des Doppelorts Weiler-Simmerberg, laufen wir am Bächle entlang in Richtung Lindenberg. Gleich zwei Museen gibt es hier, für die keine Zeit bleibt. Erste Ermüdungserscheinungen. Doch immerhin – wir lassen die Hauptstraße hinter uns und wandern auf einer Nebenstraße durchs Grüne. Endspurt: noch 5 Kilometer relativ steil bergauf bis Lindenberg. In der sommerlichen Hitze nicht die reine Freude. Aber Pilger müssen auch ein bisschen leiden, oder?
Gut behütet in Lindenberg
Pferdehändler brachten die Kunst des Hutflechtens aus Italien ins kleine Lindenberg, das zum „Klein-Paris“ der Hutmode aufstieg. Schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts garantierte das Verflechten des Naturmaterials Stroh vielen Bauern ein willkommenes Zubrot. 250 Jahre später versorgten bereits 34 Lindenberger Hutfabriken das Westallgäu mit Arbeitsplätzen und noch in den 1930er-Jahren produzierte Lindenberg Hüte für alle fünf Kontinente.
Im Hutmuseum, eingerichtet in einer der alten Hutfabriken, gehen wir auf Zeitreise durch die Hutgeschichte. Dann stapfen wir quer durch die Kleinstadt zur Stadtpfarrkirche Sankt Peter und Paul, wo wir einen weiteren Pilgerstempel sammeln, und weiter zum idyllischen Waldsee, der an diesem heißen Tag Abkühlung verspricht. Als wir kurze Zeit später durchs moorige Seewasser gleiten, sind alle Strapazen des Tages vergessen. Und im Biergarten des Waldhotels gibt es Fisch und Pasta unter alten Kastanien. Verwöhnprogramm.
Münchner Jakobsweg Unterkünfte
Ein Herbergsnetz wie in Spanien gibt es auf dem Münchner Jakobsweg nicht, genauso wenig wie klassische Pilgerherbergen. Dennoch gibt es genügend private Anbieter, Campingplätze, Jugendherbergen und vereinzelt Klöster, die kostengünstige Übernachtungen anbieten. Hier kannst du eine Liste von pilgerfreundlichen Unterkünften herunterladen.
Wir haben einfach übernachtet und dafür gut gegessen. Aber natürlich gibt es auch Hotels und Gasthöfe mit Komfort entlang der Strecke. Ein paar Adressen, die ich bei anderer Gelegenheit getestet habe und die ein komfortables Bett für Pilger bieten:
- Landgasthof Rössle, Hauptstraße 14, Stiefenhofen. Zimmer und Ferienwohnungen. Außerdem Allgäuer Küche und Kräuterküche im Restaurant.
- Hotel Waldsee, Austraße 41, Lindenberg. Ruhige Zimmer mit Seeblick. Im Restaurant Bacalau mit schönem Garten serviert man mediterrane Küche und Fischgerichte.
- Hotel Alte Post, Fischergasse 3, Lindau am Bodensee. Historisches Hotel mitten in der Altstadt. Im Restaurant verwöhnt man die Gäste mit steirischer und schwäbischer Küche.
Tag 3: Auf dem Münchner Jakobsweg von Lindenberg nach Lindau am Bodensee
Der Wecker klingelt früh, denn wir wollen Strecke machen, bevor es zu heiß wird. Heute wartet die längste Etappe. Auf einem schattigen Waldweg laufen wir gegen den Uhrzeigersinn halb um den Waldsee herum. Ein Moorlehrweg mit Infotafeln und verrosteten Maschinen erinnert an die Zeiten, als hier Torf abgebaut wurde. Glücklicherweise längst Vergangenheit, denn heute weiß man ja, wie wichtig Moore fürs Klima sind. Die Pilgermuschel auf dem Wegweiser schickt uns durchs hübsche Bauerndorf Allmannsried, wo ein Wow-Moment wartet: Vor uns türmt sich die Kette der Alpen vor grünen Wiesen auf.
Durch die grüne Allgäuidylle geht es leicht bergab in Richtung Bodensee und der weiß überpuderte Säntis lässt sich wieder blicken. Doch es kommt noch besser: Kurze Zeit später glitzert der Bodensee erstmals in der Ferne. Ein Blick, der uns müde Pilgerinnen sofort motiviert. Das Ziel scheint plötzlich ganz nah.
Bodensee in Sicht
Wie gemalt: die Wendelinskapelle mit ihrem rosa Dach. Ein echter Seelenort. Auf der Bank vor der Kapelle kramen wir unsere Brotzeit aus dem Rucksack und atmen tief durch. Verrückt, wie weit der Alltag nach nur zwei Tagen unterwegs schon entfernt ist. Natürlich holen wir uns wieder einen Stempel ab, bevor wir die nächste Etappe in Angriff nehmen.
Die Freude am schattigen Waldweg verderben uns attackierende Stechmücken ein bisschen, und in Niederstaufen lassen wir uns erschöpft auf die Bänke der Dorfkirche sinken. Mittlerweile schmerzt der ganze Körper von den Schultern bis zu den Füßen. Jesus schwebt wie Superman durchs Deckenfresko und gerade hätte ich auch gern Flügel. Weit und breit keine Einkehr und unsere Wasservorräte sind längst aufgebraucht.
Eine Bäuerin füllt unsere Wasserflaschen und kennt eine Abkürzung nach Sigmarszell: „Tobel nauf, Tobel nunter“. Meine Füße schmerzen so, dass wir den Abstecher zur Kirche dort auslassen und auf den Pilgerstempel verzichten. Viel wichtiger: Auf dem Friedhof gibt es einen Brunnen und eine schattige Bank. Wir fühlen uns reich beschenkt und für eine halbe Stunde ist Sigmarszell das Paradies müder Pilgerinnen.
In Weißensberg sind wir wieder fit für den nächsten Pilgerstempel, bevor der Abstieg zum Bodensee beginnt. Kornblumen und Mohn säumen die Felder, umschwirrt von Schmetterlingen. Obstgärten kündigen Lindau, das Ziel unserer Wanderung, an. Zuvor gönne wir uns aber noch eine Pause mit Kaffee und Kuchen im Biergarten des Montfort Schlössls mit Blick auf den Bodensee. Herrlich!
Einkehren am Wegesrand
Montfort Schlössle, Streitelsfinger Str. 38, 88131 Lindau (Bodensee). Kuchen und kleine Gerichte im Biergarten mit Bodenseeblick.
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Würdet ihr noch weitergehen?, frage ich die Töchter, als wir abends bei Seesaibling und Bodenseewein zusammensitzen. Vom Lindauer Hafen können Pilger ein Schiff auf die Schweizer Seite nach Rohrschach nehmen und dort der Pilgermuschel weiter in den Süden folgen. Hatten wir heute auch zwischendurch heftig geflucht und das Ende der Tour herbeigesehnt – irgendwie sind wir im Pilgerrhythmus angekommen. Würde die Arbeit nicht rufen, würden wir am nächsten Tag auch wieder die Wanderschuhe schnüren, statt uns nach einem Stadtspaziergang am Vormittag in den Zug nachhause zu setzen. Fortsetzung hoffentlich im nächsten Jahr. Die Strecke von München ins Allgäu wartet ja noch.
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Lesestoff zum Allgäu und zum Jakobsweg
- Elke Homburg, Reisetaschenbuch Allgäu, Dumont Reiseverlag 2021. Ausführliche Infos zu den Orten entlang des Pilgerwegs.
- Monika Hanna, Der Münchner Jakobsweg, München Verlag 2021. Allgemeines Infos zum Münchner Jakobsweg und Vorschläge zu Wegstrecken.
- Roadtrip auf dem Jakobsweg von Bilbao nach Santiago de Compostela
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