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Europa / Großbritannien

Bunt und kreativ: Street Art in Glasgow

Rogue: World’s Most Economic Taxi, 2013

Street Art ist gerade ziemlich angesagt, aber kein Phänomen des 21. Jahrhunderts. Die Anfänge der Straßenkunst finden sich in den 1960er- und 1970er-Jahren in New York und anderswo, als Sprayer ihre Graffitis illegal auf Haus­wände, U-Bahn-Waggons und Brücken sprühten. Mit Stars wie Banksy erlebte die Straßenkunst ihren Durchbruch, wurde gesell­schaft­sfähig. Merkwürdig, dass man nicht früher auf die Idee kam, mit Wandmalereien dunkle Straßenecken aufzupeppen, trostlose Wände und Gebäude zu beleben. Street-Art-Werke setzen Farbtupfen, laden ein zum Anhalten, Innehalten, Nachdenken, Schmunzeln. Heute hat fast jede Stadt, die auf sich hält, ihre Street-Art-Galerien und längst ist Urban Art ein Touristenmagnet.


Street Art in Glasgow auf dem Mural Trail

In Glasgow haben Graffitis Tradition. Schon im letzten Jahrhundert tauchten Werke mit politischen Inhalten auf, die schnell wieder verschwanden. Das erste offizielle Kunstwerk entstand 2008, und längst ist man stolz auf die Vielfalt der Wandgemälde. Seit 2014 führt ein Mural Trail durch die größte schottische Stadt und der Stadtrat ruft Künstler auf, Entwürfe für neue Werke einzureichen, um die Stadt noch bunter und lebenswerter zu machen. So entstand ein buntes Potpourri der Stile und ständig kommen neue Werke hinzu. Hier nehme ich dich mit auf einen Rundgang zu einigen der spannendsten Beispiele für Street Art in Glasgow.

Mitchell Street

Am besten beginnst du deinen Rundgang in der Mitchell Street, ganz in der Nähe der Central Station. In der schmalen Straße gibt es drei Gemälde von zwei Stars der hiesigen Street-Art-Szene zu entdecken.

Wind Power aus dem Jahr 2015 ist ein Werk des Glasgower Künstlers Rogue, der schon seit vielen Jahren in der Szene aktiv ist. Das Wandbild von der Dame mit Pusteblume zelebriert die Vielfalt der nachhaltigen Energieerzeugung rund um Glasgow und in Schottland überhaupt. Die Samen der Blume verwandeln sich nämlich in Windräder.

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Rogue: Wind Power, 2015

Fliegende Taxis in Glasgow? Erneuerbare Energie und Klimawandel sind auch das Thema von World’s Most Economic Taxi, einem weiteren fantasievollen Werk von Rogue, das bereits 2013 entstand. Es ist Teil eines visuellen Storytelling-Projekts zum Thema Klimawandel mit Projekten in ganz Schottland. Das Taxi schwebt nämlich mithilfe von Luftballons und der Künstler selbst sitzt am Steuer. Bemerkenswert ist der Detailreichtum des Werks. Es muss ewig gedauert haben, die Backsteinmauer zu malen! Der Kommentar vin Rogue: „Ich kann nicht glauben, dass ich eine Wand gemalt habe, die wie ein Backsteinmauer aussieht, nur weil ich eine Backsteinmauer wollte.“

Inspiration fand der Künstler aber sicher bei einem tollen Glasgower Projekt: Taxifahrer schenken seit vielen Jahren einmal im Jahr benachteiligten Kindern in Glasgow einen Ausflug ans Meer.

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Rogue: World’s Most Economic Taxi, 2013

Das allererste Werk in der Mitchell Street (Nr. 33) war Honey, I shrunk the kids des australischen Künstlers Smug, der eigentlich Sam Bates heißt. Smug lebt seit vielen Jahren in Schottland, arbeitet aber international mit Auftragsarbeiten auf drei Kontinenten und verwendet für seine fotorealistischen Bilder ausschließlich Sprühfarbe. Das riesige Werk schmückt die Giebelseite eines Gebäudes an der Ecke Mitchell Street/Argyle Street und zeigt ein Mädchen mit Vergrößerungsglas. Wenn man es im richtigen Winkel betrachtet, sieht es so aus, als würde es die Passanten von der Straße pflücken. Ein nettes Detail: der Name des Künstlers auf der Kette des Mädchens.

Um die Ecke liegt The Lighthouse, Schottlands Zentrum für Design und Architektur. Das Gebäude war der erste öffentliche Auftrag des Glasgower Jugendstilkünstlers Charles Rennie Mackintosh – leider bis auf Weiteres geschlossen. Direkt gegenüber war ein Klassiker der Street Art in Glasgow zu sehen: der Giant Panda von Klingatron. Er wurde inzwischen teilweise übermalt. Sehr schade, aber das ist wohl das Schicksal von Straßenkunst. Sie ist vergänglich. Dafür entstand um die Ecke gleich wieder ein neues Werk.

The Arches, Portrait Gallery und Banksy in Glasgow

In einer dunklen Unterführung unter den Bahngleisen der Central Station lag der Eingang zum Kultclub The Arches. Er wurde von DJs 2007 zu einem der besten Clubs weltweit gewählt, 2015 musste er allerdings schließen. Bei einem Besuch in Glasgow 2001 hinterließ Banksy himself drei Gemälde neben dem Eingang, die 2007 – versehentlich? – übermalt wurden. Was für ein Frevel! So sah der Banksy in Glasgow mal aus. Heute siehst du nur noch schwache Umrisse. Von Restaurierung des Werks war immer mal wieder die Rede – passiert ist nichts.


Links vom Club ein relativ neues Mural mit dem Titel End youth homelessness von GWMcLaughlin, das die Obdachlosigkeit unter jungen Menschen thematisiert, die in Glasgow erschrecken hoch ist. Mehr dazu in diesem Artikel.

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GWMcLaughlin; End youth homelessness, 2020

Auf der anderen Seite der Unterführung die Portrait Gallery von Klingatron mit überlebensgroßen Porträts von Menschen, die am Arches in irgendeiner Weise beteiligt waren. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich der Künstler James Klinge, der mit mehreren Werken in der Stadt vertreten ist und mit handgeschnittenen Schablonen arbeitet. Beeindruckend sind die Details wie das Tattoo hier auf dem Arm einer einer Porträtierten.

Portrait Gallery unter der Central Station
Portrait Gallery unter der Central Station

Viele neue Werke tauchen seit einigen Jahren an der Promenade am River Clyde im Stadtzentrum auf. Es ist keine legale Plattform für Murals, aber hier haben Nachwuchskünstler die Chance sich auszuprobieren. So entstehen ständig neue Werke.

The Clutha Portraits und Charles Rennie Mackintosh

Die Clutha Bar in der Stockwell Street, die für ihre Live-Musik berühmt war, machte 2013 Schlagzeilen, als ein Polizeihubschrauber in die Bar stürzte und zehn Menschen starben. Eineinhalb Jahre später entstand ein Wandgemälde rund um die Bar – eine Hommage an die Gegend und die ehemaligen Gäste der Bar. Unter der Leitung von Art Pistol arbeiteten Künstler wie Rogue und Ejek zusammen an den Clutha-Porträts. Mein eindeutiger Favorit: die Dame mit Sonnenbrille.

Den Architekten und Designer Charles Rennie Mackintosh zeigt das Wandgemälde ganz oben. Es war eine Auftragsarbeit des Radisson RED Hotels anlässlich des 150. Geburtstags von Mackintosh 2018. Wieder mal eine Gemeinschaftsarbeit von Rogue und Art Pistol. Seit 2021 trägt Mackintosh Maske.


Dr. Conolly

Billy Connolly ist ein Komiker, den jeder Schotte kennt und liebt. Zu seinem 75. Geburtstag gab BBC Scotland drei Porträts bei bekannten schottischen Künstlern in Auftrag, die alle im Museum People’s Palace hängen. Zwei davon reproduzierte Rogue und seither sind sie als Wandgemälde in Glasgow allgegenwärtig. Diese Installation basiert auf John Byrnes „Billy Connolly“.

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Rogue, Dr. Conolly

Bow down, honour the roots und The Rebel Bear

Weiter geht es zum Merchant Square – eine Gegend, die im 19. Jahrhundert Händler prägten, die durch Geschäfte mit den Kolonien reich geworden waren. Die Unterjochung indigener Völker ging einher mit dem Aufstieg des Kolonialismus. 2021 entstand das riesige Wandbild der Künstlergruppe Fearless Collective, gegründet vom indischen Künstler Shilo Shiv Suleman, bei einem Workshop mit Angehörigen indigener Völker.

Fearless Collective: Bow down, honour the roots
Fearless Collective: Bow down, honour the roots

Im Zentrum des Wandbilds Bow down, honour the roots stehen Isidro Sangama Sangama, Angehöriger des Kichwa-Volkes aus der Waiku-Gemeinde von San Martin, und Puyr Tembé, Angehöriger des Tembé-Volkes aus Brasilien. Sie posieren vor einem Wandteppich aus Bäumen, Vögeln und Tieren, einem sauberen Fluss, Sonne und Mond. Das Mural würdigt die Geschichte der indigenen Völker und erinnert daran, sich vor den eigenen Wurzeln zu verneigen. Gleichzeitig zeigt es die Vision einer Zukunft auf, die nachhaltig, friedlich und gerecht für alle ist.

Das Wandbild an einer gegenüberliegenden Wand (Bell Street/Candleriggs) fällt im Vergleich dazu kaum auf. Es zeigt ein Liebespaar in inniger Umarmung und in freiem Fall. Unterzeichnet ist das Werk mit The Rebal Bear. Der Künstler hat bis heute – wie Banksy – seine Identität nicht preisgegeben und bezeichnet sich selbst gern als „The Scottish Banksy„. Manchmal arbeitet Rebel Bear live im Bärenkostüm. Viele seiner Arbeiten haben politische Botschaften, prangerten Kolonialismus im Stadtbild, den Brexit oder die Übernacht von Mark Zuckerberg und Meta an.

Glasgow Fellow Residents

Ein Monumentalwerk von Smug, das der Glasgow City Council in Auftrag gab, schmückt die Giebelwand hinter dem Parkplatz in der Ingram Street. Glasgow Fellow Residents zeigt alle möglichen schottischen Wildtiere wie Eichhörnchen, Füchse, Bienen und Kaninchen, die in Glasgows Grünanlagen oder den Wäldern ringsum leben – unglaublich detailreich. Wir blicken durch scheinbare Löcher in der Wand in ihre Welt.

Smug: Glasgow Fellow Residents

St. Mungo und St. Enoch and Child

Von Smug stammt dieses Wandbild aus dem Jahr 2016, das eine Wand in der High Street schmückt. Es wurde nie offiziell benannt, aber nachdem es in der ersten Woche rund 1,5 Millionen Mal auf Social-Media-Kanälen geteilt worden war, hatte es einen Namen: St. Mungo. Mungo ist der Schutzheilige von Glasgow, der in der nahe gelegenen Kathedrale von Glasgow begraben liegt.

Auf dem Wandgemälde ist er mit einem Vogel dargestellt, den er wieder zum Leben erweckte, wie eine Legende erzählt. Demnach bewarfen ein paar Jungen Vögel mit Steinen und töteten ein Rotkehlchen. Während die Jungen davonliefen, hob Mungo den Vogel auf, glättete sein Gefieder und betete. Nach kurzer Zeit erwachte der Vogel wieder zum Leben und flog davon.

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Smug: St. Mung, 2015

St. Enoch and Child, ein weiteres Werk von Smug, kannst du an der Ecke High Street und George Street entdecken. Auch hier geht es um St. Mungo, der als Baby von seiner Mutter St. Enoch gestillt wird. Und auch hier taucht das Rotkehlchen auf.

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Smug, St. Enoch and Child, 2015

Strathclyde University Wonderwall

Die mehr als 1000 Quadratmeter große und mehrstöckige Wonderwall der Universität Strathclyde wurde anlässlich der Commonwealth Games 2014 in Auftrag gegeben. Sie feiert die Lehrenden und Lernenden der Universität Strathclyde und ihre zahlreichen Leistungen. Das Projekt, das fast 200 Meter lang ist, ist eine Gemeinschaftsarbeit von Art Pistol, Rogue und Ejek.

Zu sehen ist das Dansken-Teleskop, das einst für den Unterricht in nautischer Astronomie verwendet wurde, sowie das Landship – eine nachgebildete Navigationsbrücke auf dem Dach der Navigationsschule des Royal College, die dazu diente, die Grundsätze der Kompasseinstellung zu lehren.

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Art Pistol, Rogue und Ejek: Strathclyde University Wonderwall

Street Art in Glasgow außerhalb des Zentrums

Noch nicht sehr alt sind die Murals neben der Schnellstraße, die auf Eisenbahnbögen gemalt wurden. Eine düstere Gegend, die dringend ein bisschen Farbe brauchte. Das Bild mit dem lesenden Mädchen gefiel mir besonders gut. Den Namen des Künstlers konnte ich nirgends finden.

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Hallo, ich bin Elke. Schon als kleines Mädchen immer mit dem Finger auf der Landkarte unterwegs. Als Reisejournalistin, Reisebuchautorin und Reiseleiterin heute Berufsreisende. Mit viel Know-how zu Asien und Neuseeland, aber auch leidenschaftlich gern vor der Münchner Haustür – in Oberbayern oder im Allgäu – unterwegs. Am liebsten mit Wanderstiefeln oder mit dem Fahrrad. Auch wenn ich schon einiges von der Welt gesehen habe – die Entdeckerlust ist immer noch endlos. Wo ich mich aktuell herumtreibe, erfahrt ihr auf meinem Insta-Profil.

8 Kommentare

  • Felicitas
    24. Oktober 2022 at 16:16

    Liebe Elke,
    vielen Dank für diesen spannenden und gut recherchierten Artikel! Ich mag Street Art total gerne und wollte vor ein paar Jahren selbst einmal einen Artikel über die Street Art in Paris schreiben. Ich habe es schließlich gelassen, da ich mich in rechtlichen Fragen verfangen habe. Außerdem sind viele dieser Werke in Paris auch nicht auf legalem Weg auf die Mauern gelangt.

    Viele Grüße
    Felicitas

    Antwort
    • Elke
      24. Oktober 2022 at 18:35

      Liebe Felicitas,

      freut mich, dass dir meine Street-Art-Tour gefallen hat! Was Paris betrifft: Die Stadt braucht ja eigentlich nicht auch noch Street Art – sie hat ja Attraktionen ohne Ende. ;-). Glasgow dagegen hat ein Image-Problem und die Murals haben viel Farbe ins Stadtbild gebracht.

      Liebe Grüße
      Elke

      Antwort
  • Susan
    27. Oktober 2022 at 12:25

    Liebe Elke,
    Glasgow ist eine unterschätzte und auf den zweiten Blick faszinierende Stadt. Wir sind mehr auf den Spuren des Architekten und Designers Mackintosh gewandert. Da wir auch viel zu Fuss unterwegs waren, sind uns einige der Graffiti aufgefallen. Hast du an einer der Graffiti-Touren in Glasgow teilgenommen?
    Liebe Grüsse
    Susan

    Antwort
    • Elke
      27. Oktober 2022 at 14:14

      Liebe Susan,
      ich finde auch – Glasgow ist sehr unterschätzt. Die meisten Mackintosh-Plätze waren geschlossen, als ich unterwegs war. Bis auf den Tea Room. Ich habe eine Graffiti-Tour gemacht, mit der ich allerdings nicht so ganz glücklich war. Viele Graffitis habe ich in Eigenregie noch erkundet, viele neue und besonders schöne Beispiele sind leider in Stadtvierteln ein bisschen abseits vom Zentrum. Dafür fehlte mir leider die Zeit. Beim nächsten Mal!
      Liebe Grüße
      Elke

      Antwort
  • Lisa
    28. Oktober 2022 at 12:57

    Liebe Elke

    Wow, die Graffitis die du hier zeigst, sind wirklich stark. Nicht nur, weil einige sehr realistisch gemalt wurden – wie die von Smug. Sondern auch, was sie damit ansprechen und der Gesellschaft sagen wollen. Glasgow sollte ich auf jeden Fall irgendwann mal besuchen gehen.

    Einen Mural Trail kenn ich von meinem Urlaub auf George Town in Malaysia.

    Liebe Grüsse
    Lisa

    Antwort
    • Elke
      28. Oktober 2022 at 13:03

      Liebe Lisa,
      genau das gefällt mir an den Murals in Glasgow: Sie sind nicht nur Deko, sondern haben (meist) auch eine gesellschaftspolitische Aussage. Glasgow lohnt unbedingt! Der Mural Trail in George Town klingt aber auch interessant. Den gab es bei meiner letzten Reise nach George Town in den 1980ern noch nicht ;-).
      Liebe Grüße
      Elke

      Antwort
  • Marie Schade
    30. Oktober 2022 at 10:47

    Liebe Elke,
    das sind wirklich großartige Murals, die Du uns auf eine sehr informative und interessante Weise präsentiertst. Ich kenne Glasgow noch nicht, bin aber überrascht von dieser Vielefalt, die Du gekonnt aufzeigst. Vielen Dank dafür.
    Liebe Grüße
    Marie

    Antwort
    • Elke
      30. Oktober 2022 at 18:32

      Liebe Marie
      vielen Dank für deinen Kommentar! Glasgow hat mich sehr positiv überrascht, und dazu haben die Murals natürlich ganz entscheidend beigetragen. Ein spannender Kontrast zu Edinburgh.
      Liebe Grüße
      Elke

      Antwort

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