Das Schlachthofviertel, das sich zwischen Ludwigs- und Isarvorstadt breitmacht, ist schon eine Weile im Umbruch. Spätestens seit der Neubau des Münchner Volkstheaters auf dem Gelände des ehemaligen Viehhofs im Oktober 2021 eröffnete, ist es megahip. Subkultur fand im einstigen Glasscherbenviertel schon vor Jahren eine Bleibe, jetzt ist auch die etablierte Kultur eingezogen. Kann schon sein, dass sich in den nächsten Jahren im Schlachthofviertel mehr ändert, als den Einwohnern lieb ist. Noch ist es ein ungeschliffener Diamant. Ein Stück München, das nicht „aufgebrezelt“, sondern ehrlich und bodenständig ist. Und hier und da auch richtig cool.
Ich nehme dich mit auf einen Rundgang durchs Schlachthofviertel mit einem Streifzug über den ehemaligen Viehhof, zum Volkstheater, zum Kreativquartier Bahnwärter Thiel mit seiner Outdoor-Galerie und zur Alten Utting, aber auch zu einem Traditionsmetzger in der Thalkirchner Straße. Zu den spannendsten Ecken im Schlachthofviertel. Ein weiteres cooles Münchner Stadtviertel stelle ich dir hier vor: das Werksviertel München.
Inhaltsverzeichnis
Rundgang durchs Schlachthofviertel in München: Vieh- und Schlachthof
Der Rundgang durchs Schlachthofviertel beginnt an der Zenettistraße, die den Schlachthof vom ehemaligen Viehhof trennt. Benannt ist sie nach Arnold Zenetti, der 1876 den Auftrag zum Bau des Schlachthofs erhielt. Den Standort wählte man aus praktischen Gründen bewusst in der Nähe der Isartalbahn und des Südbahnhofs. Zwei Jahre später hatte München einen der größten und modernsten Schlachthöfe Europas.
Geschichte des Münchner Schlachthofs
Anfang des 19. Jahrhunderts gab es mehr als 600 Schlachtstätten in der Stadt, denn jeder Metzger und jeder Gastwirt durfte selbst schlachten. Die Überreste vom Schlachtfest landeten in den Bächen. Zum Verkauf wurden Tiere an wechselnde Plätze in der Stadt getrieben, zum Beispiel zum Rindermarkt, der direkt hinter dem Marienplatz liegt. Eine schöne Sauerei.
Mitte des 19. Jahrhunderts wüteten gleich mehrere Cholera-Epidemien in der Stadt. Der Forscher Max Pettenkofer suchte nach Gründen für die Seuchen und forderte eine städtische Kanalisation, Frischwasserversorgung aus dem Umland und einen zentralen Schlachthof.
Max Pettenkofer und Ludwig II. setzen neue Hygiene-Standards
Am Königshof stieß er auf taube Ohren. Erst der blutjunge Ludwig II., den viele nur als weltfremden Märchenkönig und Schlösserbauer kennen, hörte ihm zu. Der „Kini“ war interessiert an technischen Neuerungen von Bautechnik bis Hygiene, und die entscheidenden Bauprojekte seiner Regierungszeit dienten dem Volk: Fabriken, Arbeitersiedlungen und Waisenhäuser, Krankenhäuser wie die Hauner’sche Kinderklinik, aber auch ein fortschrittliches Kanalisationssystem für die Residenzstadt – und der Schlachthof. Pettenkofer widmete sich fortan der hygienischen Sanierung Münchens und verbesserte die Lebensbedingungen der Münchner erheblich. Bis 1883 hatte die Stadt eine vorbildliche Trinkwasserversorgung aus dem Mangfalltal, ein leistungsfähiges Abwassersystem und einen modernen Schlachthof.
Das Gelände des Münchner Schlachthofs
An den Baumeister Zenetti erinnert eine Tafel hinter dem Tor zum Schlachthofgelände. Auf dem Schlachthof wird immer noch geschlachtet, das hören (und riechen) die Anwohner, wenn die Winde ungünstig stehen. Und dieses besondere Aroma sorgte dafür, dass die Gentrifizierung lange einen Bogen um den Schlachthof machte. In den 1980er- und 1990er-Jahren wurden die Schlachtbetriebe umfassend saniert und auf den neuesten Stand von Technik und Hygiene gebracht. 2007 fusionierte der Schlachthof mit der Großmarkthalle München – die beiden Säulen des „Bauchs von München“ unter dem Namen „Markthallen München„. Es gibt Pläne zur Verlegung des Schlachthofs an den Stadtrand. Vorerst bleibt er aber dort, wo er ist.
Einige der historischen Backsteingebäude sind aber schon längst schicke Adressen: das Fischlokal am Eingang oder das „Frischeparadies“, ein Feinkosttempel mit toller Fischtheke und Mittagsbistro. Frühe Boten der Veränderung, die mit dem Einzug des Volkstheaters einen vorläufigen Höhepunkt erreichte.
Der Viehhof gestern und heute
Auf der anderen Seite der Zenettistraße liegt der ehemalige Viehhof. Man kann sich heute kaum vorstellen, was hier früher los war. Zweimal pro Woche stürmten die Metzger die Verkaufshallen. Mittwochs wurden bis zu 6000 Rinder per Bahn angeliefert, die man die Rampe vorm Bahnwärter Thiel hinuntertrieb. Freitags erhandelte man Schweine und Kälber. War man handelseinig geworden, trieb man die Tiere über die Zenettistraße in die Schlachthallen. Der Viehmarkt hatte sich erübrigt, als der Tierhandel sich mehr und mehr ins Internet verlagerte.
Das erste Gebäude des Viehhofs, das ins Auge fällt, ist das Wirtshaus am Schlachthof – wie alle wenigen verbliebenen Originalbauten aus dem 19. Jahrhundert aus rotem Backstein erbaut. Wer schon ein bisschen älter ist, erinnert sich garantiert an das BR-Jugendmagazin „Live aus dem Schlachthof“, das von hier gesendet wurde. Unzählige Konzerte, Tango- und Salsapartys fanden hier statt, Fernsehserien wie „Zur Freiheit“ drehte man hier. Einmal im Monat sendet heute der BR das Kabarett-Format „Schlachthof“ aus dem Wirtshaus.
Gegenüber vom Wirtshaus liegt die Viehhofbank, 1910 erbaut. Im oberen Stockwerk lag einst die Metzgerschule, jetzt steht das Gebäude seit fast 20 Jahren – abgesehen vom Architekturbüro im Erdgeschoss – leer. Was aus dem Gebäude werden soll, ist noch unklar. Sicher ist nur: Es braucht dringend einen Investor.
Der Viehhof: Vom Handelsplatz zum Kreativquartier
2006 wollte die Stadt den Viehmarkt verkaufen, um von den Einnahmen den Großmarkt zu sanieren. Dazu kam es glücklicherweise nicht, denn sonst hätten sich Investoren das Gelände mitten in der Stadt längst gekrallt und Luxuswohnungen gebaut. Davon haben wir in München aber wirklich genug. Inzwischen ist entschieden: Das Gelände bleibt städtisch.
Diverse Zwischennutzungen wurden beschlossen und auf wundersame Art und Weise entstand ein Kreativquartier mit lauter wunderbaren Events. Einige Sommer war das Open-Air-Viehhofkino mitsamt dem lässigen Biergarten Kult. Dort, wo inzwischen das Volkstheater steht. Vor Weihnachten öffnete ein alternativer Weihnachtsmarkt seine Zelte. Wie habe ich dieses Stück Berlin in München geliebt! Und bin doch nie auf die Idee gekommen Fotos zu machen, die heute ein historisches Dokument wären.
Das „Gasthaus zur Viehwog“ erinnert an die ehemalige Viehwaage, denn jedes Tier wurde vor dem Verkauf natürlich gewogen. Heute steht neben dem Eingang zur Wirtschaft ein Wurstautomat, damit niemand am Sonntag auf Metzgerwürste verzichten muss. Es gibt aber auch ein paar Lokale ringsum, in denen Fleisch nicht im Fokus steht: das Fischlokal Papazof’s oder der Italiener Monti zum Beispiel.
Wenn du weiterläufst, erkennst du eine Rampe, über die man einst die per Bahn angelieferten Tiere trieb. Ein weiteres Relikt des Viehhofs: die Wagenwaschanlage, wo heute noch die Viehtransporter nach dem Entladen der Tiere gereinigt werden. Tatsächlich braucht der Schlachthof den Viehhof heute noch wegen eben dieser Waschanlage, für die es anscheinend keinen anderen Platz gibt. So erklärt sich auch der Misthaufen auf dem Gelände. Mitten im schicken München!
Was hier in Zukunft entstehen soll? Der Bezirksausschuss ermittelte die Vorstellungen der Anwohner: bezahlbarer Wohnraum und Grünflächen, in die möglicherweise Kultur integriert wird, stehen auf der Wunschliste ganz oben.
Kreativquartier Bahnwärter Thiel: Alles so schön bunt hier!
Hinter der Rampe liegt seit 2015 der Bahnwärter Thiel. Ein Kreativquartier mit einer kunterbunten Ansammlung von Tram- und U-Bahnwagen, Schiffscontainern und mehr, in denen Künstlerateliers und Proberäume entstanden. Dazu ein Kran mit schwebenden Gondeln, ein Himmel aus Fahrradrädern, Hochbeete fürs Urban Gardening und mehr. Und natürlich gibt es Essen und Trinken und Räume für Kulturevents. Außerdem darf ganz legal gesprayt werden! Wenn du am Winter im Schlachthof unterwegs bist, findest du hier auch einen der schönsten Weihnachtsmärkte in München.
Rundgang durchs Schlachthofviertel – Jenseits vom Schlachthof
Durch ein Tor geht es zur Tumblinger Straße, von der die Schmellerstraße mit einigen netten Lokalen wie der „Goldmarie“. abbiegt. Die Parallelstraße, die Ruppertstraße, kennen wohl alle Münchner. Im KVR holt man Reisepässe oder Personalausweise ab, im Standesamt wird geheiratet.
An der Ecke Ruppertstraße/Tumblingertraße liegt heute das Kulturzentrum Luise, bis 2006 fand hier der Pferdemarkt statt. Einen Luxuspferdemarkt, der eher ein gesellschaftliche Ereignis war, hielt man an der Kapuzinerstraße ab, wo heute das Arbeitsamt steht. Die Wände des Viehhofs zur Linken sind Open-Air-Galerie. Hier dürfen sich Sprayer und Sprayerinnen austoben. So sehen die Wände wöchentlich anders aus. Immer schön bunt auf jeden Fall.
Die Alte Utting
Dann geht es unter der Eisenbahnbrücke hindurch. Geradeaus kommst du direkt zum Großmarkt – zusammen mit dem Schlachthof der „Bauch Münchens“. Wenn du links läufst, erspähst du in der Ferne schon die Alte Utting.
Ein Schiff auf einer Brücke – welcher Wahnsinnige hat sich das ausgedacht? Der Ausflugsdampfer MS Utting, 1950 gebaut, schipperte jahrzehntelang über den Ammersee, bis er 2016 der Verschrottung entgegensah. Seinen neuen Platz fand er nach einer spektakulären Rettungsaktion auf einer Eisenbahnbrücke am Rande des Schlachthofviertels.
Hinter der Utting stehen ein paar junge Münchner, das die Stadt schon um etliche coole Projekte bereichert haben. Im Juli 2018 gingen die ersten Gäste an Bord und seither gibt’s eine Bar, Stände mit Streetfood, Kulturevents, im Dezember einen Weihnachtsmarkt und immer geniale Sonnenuntergänge. Übrigens widmete sogar die New York Times der „Alten Utting“ einen Artikel. Wenn das keine Auszeichnung ist! Am schönsten ist’s am Abend, wenn die Schiffsbeleuchtung über der Lagerhausstraße angeht. Schiff ahoi!
Die Thalkirchner Straße
Von der Utting läufst du ein Stück zurück zur Thalkirchner Straße. Dort liegt zur Linken ein weiterer Eingang zum Schlachthof mit einem der wenigen Originalgebäude. Im Torwärterhaus waren einst die Veterinäre untergebracht. Auf der rechten Straßenseite steht in den frühen Morgenstunden eine lange Schlange vor dem Metzgerladen von Magnus Bauch. Er soll die besten Weißwürste und den besten Leberkäs der Stadt machen. Viele Gastronomen sind hier Stammkunden. Weil ich kein Fleisch esse, habe ich sie noch nicht probiert, obwohl ich um die Ecke wohne.
Magnus Bauch lernte ich zufällig vor zwanzig Jahren auf Bali kennen. Er ist nämlich nicht nur mit einer Balinesin verheiratet, sondern besaß auch viele Jahre ein Hotel auf der Insel. Und dort schaute ich auf einer Recherchereise für meinen Bali-Reiseführer zufällig vorbei. Manchmal muss man halt weite Wege zurücklegen, um seine Nachbarn kennenzulernen.
Jenseits der Zenettistraße liegt auf der linken Seite das Tröpferlbad, das ehemalige Brausen- und Wannenbad des Viertels. Seit vielen Jahren ein Jugendtreff, der dringnd eine Geldspritze bräuchte. Jetzt biegst du wieder in die Zenettistraße ein, um die Runde zu beenden, wo sie begann. Aber unbedingt noch einen Schlenker zur Piazza Zenetti und zum Volkstheater einplanen.
Piazza Zenetti: Nachbarschaftstreffpunkt im Schlachthofviertel
Die Piazza Zenetti liegt dort, wo sich Zenettistraße, Adlzreiterstraße und Tumblingerstraße treffen. Nein, kein Little Italy, sondern ein Nachbarschaftsprojekt, das Green City e.V. und die Stadt München gemeinsam anschoben. Ein Ort der Begegnung, wo Bewohner des Viertels Hochbeete, Sonnenbänke und Bücherschränke angelegt haben. Eine kleine alternative Oase.
Rundgang durchs Schlachthofviertel: Das neue Münchner Volkstheater
Ein Volkstheater gab es in München schon Anfang des 20. Jahrhunderts. Es wurde 1983 wiederbelebt als ein Theater, das volkstümlicher sein sollte als die etablierten Münchner Bühnen wie Residenztheater und Kammerspiele. Als die Räumlichkeiten in der Brienner Straße renovierungsbedürftig wurden, setzte man auf einen Neubau und fand auf dem einstigen Viehhofgelände einen idealen Standort. Der Entwurf des Stuttgarter Architekturbüros Lederer Ragnarsdóttir Oei gewann die Ausschreibung.
Pünktlich eröffnete das Volkstheater im Oktober 2021 und Intendant Christian Stückl, der auch Spielleiter der weltberühmten Passionsspiele in Oberammergau ist, konnte mit seinem Ensemble einziehen. Äußerlich passt sich er backsteinrote Bau dem Schlachthof an. Innen spielt man in einem Hauptsaal mit Orchestergraben und einem Werkraum, wo modernste Bühnentechnik auf klare Ästhetik trifft. Unbedingt ein Gewinn fürs Viertel. Wie übrigens auch das Theaterrestaurant „Schmock“ mit israelischer Küche.
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Hallo, ich bin Elke. Schon als kleines Mädchen immer mit dem Finger auf der Landkarte unterwegs. Als Reisejournalistin, Reisebuchautorin und Reiseleiterin heute Berufsreisende. Mit viel Know-how zu Asien und Neuseeland, aber auch leidenschaftlich gern vor der Münchner Haustür – in Oberbayern oder im Allgäu – unterwegs. Am liebsten mit Wanderstiefeln oder mit dem Fahrrad. Auch wenn ich schon einiges von der Welt gesehen habe – die Entdeckerlust ist immer noch endlos. Wo ich mich aktuell herumtreibe, erfahrt ihr auf meinem Insta-Profil.
6 Kommentare
Julia
8. November 2021 at 19:17Wow…spannend! So etwas erwartet man ja gar nicht im konservativen München. Ich glaube, ich sollte der Stadt mal wieder eine Chance geben 😉 Danke für den schönen Beitrag!
Viele Grüße, Julia
Elke
8. November 2021 at 19:54Ja, liebe Julia, München ist gar nicht so übel ;-)! Wie sich das Schlachthofviertel verändert, verfolge ich selbst staunend. Hoffentlich kann es noch lange seinen Charme erhalten!
Liebe Grüße
Elke
Britta | My Happy Places
8. November 2021 at 20:41Liebe Elke,
es sieht so aus, als ob ich unbedingt mal wieder ins Schlachthofviertel schauen sollte! Ansonsten kann ich dir auch das Werksviertel Mitte sehr empfehlen. Das ist ja gar nicht weit und auch sehr kreativ.
Viele Grüße
Britta
Elke
8. November 2021 at 20:47Liebe Britta,
ja, unbedingt! Das Werksviertel kenne ich als Münchnerin natürlich auch, ist sehr cool. Am Schlachthofviertel mag ich, dass es Traditionelles und Kreatives vereint. Außerdem natürlich Lokalpatriotismus – ich wohne nur eine Straße entfernt ;-).
Liebe Grüße
Elke
Sonja
5. Dezember 2021 at 9:16Liebe Elke,
Danke für den tollen Beitrag. So habe ich München noch nie gesehen und muss das unbedingt bei meinem nächsten Besuch nachholen.
Liebe Grüße
Sonja
Elke
5. Dezember 2021 at 9:19Liebe Sonja,
freut mich, wenn ich dir neue Seiten von München vorstellen konnte. Die Stadt hat tatsächlich ein paar richtig coole Ecken! Die machen aber tatsächlich im Sommer am meisten Spaß. Noch ein bisschen Zeit zum Vorfreuen ,-).
Liebe Grüße
Elke